Wiesbaden/Frankfurt, 9. April 2024
goEast 2024: Preise
In zwei Wochen ist es wieder soweit: Am Mittwoch, 24. April, startet die 24. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films. Es werden Preise in einem Gesamtwert von 21.500 Euro vergeben. Besonders begehrt ist die mit 10.000 Euro dotierte „Goldene Lilie“ als Hauptpreis des Wettbewerbs von goEast. Die Landeshauptstadt Wiesbaden vergibt den Preis für die Beste Regie, der mit 7.500 Euro dotiert ist. Der CEEOL Preis für den Besten Dokumentarfilm ist mit 4.000 Euro dotiert. Eine dreiköpfige FIPRESCI Jury vergibt zwei Preise der internationalen Filmkritik. Auch die East-West Talent Lab Jury zeichnet Projekte aus.
Dramen, Dokumentarfilme, Komödien, Satire und Porträts aus dem Osten und Mitte Europas – die ganze Vielfalt im goEast Wettbewerb
Das Herzstück des Festivals ist der Wettbewerb, der dem breiten Publikum aus Wiesbaden und der Region die Chance bietet, Höhepunkte des aktuellen mittel- und osteuropäischen Films näher kennenzulernen. In 16 abendfüllenden Spiel- und Dokumentarfilmen blickt das Publikum auf die großen Konflikte unserer Zeit: Bewaffnete Auseinandersetzungen, Unterdrückung, Korruption, Antisemitismus, aber auch das Aufbrechen von verkrusteten Strukturen, sowohl in der Familie als auch der Gesellschaft, stehen im Mittelpunkt vieler Filme. Die herausragenden Produktionen der vergangenen zwei Jahre füllen eine Woche lang die Leinwände und in den Filmgesprächen im Anschluss an die jeweiligen Vorstellungen können Besucher:innen ihre Fragen stellen.
Nachdem die georgische Koproduktion CROSSING außer Konkurrenz das Festival eröffnet, zeigt SMILING GEORGIA (GEO, DEU 2023) des georgischen Regisseurs Luka Beradze als absurdes Zeitdokument Georgien 2012, während Präsident Mikheil Saakashvili im Wahlkampf Zahnersatz für kaputte Zähne verspricht. In Massen begeben sich Leute vom Land in Zahnarztpraxen, um ihre faulen Zähne ziehen zu lassen. Saakashvili verliert aber die Wahl…
Olga Chernykhs essayistisches Generationenporträt A PICTURE TO REMEMBER/ FOTO NA PAMYAT/EIN FOTO ZUM ANDENKEN (UKR, FRA, DEU 2023) eröffnete 2023 das IDFA, eines der wichtigsten Dokumentarfilmfestivals weltweit und feiert bei goEast in Anwesenheit der Regisseurin seine Deutschlandpremiere. Chernykh verwendet Ton- und Bildaufnahmen der verstörenden Kriegsgegenwart in der Ukraine, die poetisch mit Archivmaterial dreier Generationen aus ihrem eigenen Familienarchiv kontrastiert werden.
Internationale Premiere feiert das sibirische Drama PLAGUE /CHUMA / DIE PEST (RU-SA 2023) von Dmitrii Davydov. In einem Dorf in der sibirischen Republik Sakha herrschen rohe Sitten – Konflikte werden meist mit Gewalt gelöst. Der Witwer Ivan lässt sich regelmäßig von anderen Dorfbewohnern übers Ohr hauen. Dabei verliert sein Sohn Taras immer mehr den Respekt vor ihm.
Das Coming-of-Age-Drama BAURYNA SALU (KAZ 2023) von Askhat Kuchinchirekov erzählt die bewegende Geschichte von Yersultan, der gemäß der örtlichen Stammestradition unmittelbar nach der Geburt seiner Großmutter übergeben wurde. Sein Leben nimmt eine schmerzhafte Wendung, als sie stirbt. Yersultan muss zu einer Familie zurückkehren, zu der er kaum eine Bindung hat. Der Regisseur, der seine eigenen Kindheitserfahrungen im Film verarbeitet, wird vor Ort sein.
In der intimen Familiendokumentation 1489 (ARM 2023) von Shoghakat Vardanyan verschwindet ihr Bruder Soghomon gegen Ende seines Militärdienstes im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan in Berg-Karabach. Die Familie versucht verzweifelt, Kontakt zu ihm herzustellen. In diesen hilflosen Momenten packt Vardanyan ihre Kamera aus und filmt den gemeinsamen Alltag mit ihren Eltern. Für ihren Debütfilm gewann Vardanyan den Hauptpreis beim IDFA in Amsterdam. Die Regisseurin wird vor Ort sein.
Das pastorale Sozialdrama STEPNE (UKR, DEU, POL, SVK 2023) der Regisseurin Maryna Vroda erzählt, wie Anatoliy nach jahrelanger Abwesenheit in das Dorf seiner Kindheit zurückkehrt, um seine sterbende Mutter zu pflegen. Im schneebedeckten ukrainischen Hinterland leben die Menschen, die in der postsowjetischen Gesellschaft zunehmend in Vergessenheit geraten: die Alten und die Armen. Der Film besticht durch die Arbeit mit (Laien-)Darsteller:innen und durch seine fantastische Bildgestaltung. Maryna Vroda wird zu Gast sein.
In der Coming-of-Age-Langzeitdokumentation KIX (HUN 2023) des Regieduos Dávid Mikulán und Bálint Révész, das auch vor Ort in Wiesbaden sein wird, macht sich der Filmemacher Dávid Mikulán mit Skateboard und Kamera auf die Suche nach Personen, um diese für sein Universitätsprojekt zu filmen. Eine Kreidespur auf dem Budapester Asphalt führt ihn schließlich zu Sanyi Marku, einem Kind aus prekären Verhältnissen, das nun zum Protagonisten wird. In den folgenden zehn Jahren nimmt Mikulán Sanyis Leben ausschnittsweise auf und zeigt Budapest aus einer ungewöhnlichen Perspektive.
Im feministischen Drama MADINA (KAZ, PAK, IND 2023) von Aizhana Kassymbek aus Kasachstan lebt Tänzerin Madina mit ihrer Großmutter, ihrem jüngeren Bruder und ihrer zweijährigen Tochter am kaspischen Meer zusammen. Den Lebensunterhalt für die Familie versucht sie als Tanzlehrerin und als Gogo-Tänzerin in einem Nachtclub zu bestreiten. Dabei laviert sie zwischen den Schikanen ihres Ex-Mannes, den Avancen eines Oligarchen und entdeckt obendrein eines Tages ein Familiengeheimnis, das alles verändert. Aizhana Kassymbek wird zu Gast in Wiesbaden sein.
Auch SILENCE OF REASON / ŠUTNJA RAZUMA / DAS SCHWEIGEN DER VERNUNFT (MKD, BIH 2023) von Kumjana Novakova beschäftigt sich mit weiblichen Traumata. Anonymisiert berichten mehrere Frauen aus Foča über systematische Vergewaltigungen, die während des Bosnienkriegs durch serbische Soldaten begangen wurden. Die Erzählungen, vor allem in textlicher, aber auch in verzerrter auditiver Form, ergeben zusammen mit archivierten Bildern und Videos von den Tatorten eine filmische Collage, die Sprachlosigkeit und Entsetzen hervorruft. Der Film wird im Beisein von Filmgästen gezeigt.
Der beobachtende Dokumentarfilm FAIRY GARDEN (HUN, ROU, HRV 2023) unter der Regie von Gergö Somogyvári erzählt von der kürzlich zu Hause rausgeflogenen Fanni, die zusammen mit dem wohnungslosen 60-jährigen Laci in einer selbstgebauten Hütte an einer Waldlichtung lebt. Die 19-jährige Trans-Frau träumt von Liebe, Nähe, Akzeptanz, einem besseren Leben und einer Geschlechtsangleichung. Dabei ist Obdachlosigkeit in Ungarn kriminalisiert und offiziell gibt es keine Möglichkeit, das Geschlecht ändern zu lassen. Der Regisseur ist zu Gast in Wiesbaden.
Auch Andrei Cohn, Regisseur von HOLY WEEK / SĂPTĂMÂNA MARE / KARWOCHE (ROU, FRA, CH, TUR 2024) wird vor Ort sein. Seine theatrale Tragödie geht in das ländliche Rumänien des 19. Jahrhunderts, wo Leiba mit seiner Familie ein Gasthaus betreibt. Die Umgebung ist idyllisch und das Gasthaus gut besucht. Alles wäre schön und gut, wenn der jüdische Leiba und seine Familie sich nicht dem massiven Antisemitismus der Zeit ausgesetzt sähen. Die Leute im Dorf und auf Durchreise essen zwar bei Leiba, aber verhehlen zugleich nicht ihre rassistische Abscheu.
Ein magisch-realistisches Biopic ist Ivan Tymchenkos OXYGEN STATION / KYSNEVA STANTSIYA / SAUERSTOFFSTATION (UKR, SVK, CZE, SWE 2023). Im Sommer 1980 wird Mustafa Dzhemilev, führender Menschenrechtsaktivist der Krimtataren, nach einem 303-tägigen Hungerstreik ins sibirische Dorf Zyryanka verbannt. Seine Zwangsarbeit in der Sauerstoffstation gleicht in ihrer endlosen Routine der des sagenhaften Sisyphos. Der Regisseur ist vor Ort.
Auch die Regisseurin des Dokumentarfilms 09.05.2022 (NLD, MNE 2023) Nicole Philmon wird zu Gast in Wiesbaden sein. Ihr Film beschäftigt sich mit den alljährlichen Feierlichkeiten des 9. Mai, dem Tag des Sieges, den Russland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 feiert. Dieser soll an das Leid des „Großen Vaterländischen Kriegs“ erinnern. Doch wie sieht dieser Tag in dem Jahr aus, in welchem Vladimir Putin den Großangriff gegen die Ukraine veranlasst hat? Der Film, der von Sergei Loznitsa produziert wurde, feiert Weltpremiere in Wiesbaden.
Andrei Kashperskis PROCESSES (BLR, POL 2023) erzählt satirisch und in grellen Farben in vier Episoden die neueste Geschichte von Belarus seit den Protesten gegen Lukashenka im Jahr 2020 bis zum Ukrainekrieg heute. Der Regisseur wird ebenfalls in Wiesbaden erwartet.